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2 - 26. Mai 22
Die
schreckliche 4
Die ganze
Familie Behn zur Konfirmation von Christa 1955.
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Das
hört sich an wie ein Kinderkrimi "Die vier schrecklichen Seeräuber"
oder sowas.
aber es war kein Spiel, es war ernst. In diesen Jahren spielte die 4 eine
große Rolle für mich, vielleicht nur eingebildet, aber ich
hatte Angst.
Nach
diesem herrlichen Abend wachte ich am nächsten Morgen schon ziemlich
früh auf und hörte nebenan in der Küche die Stimme meines
Onkels. Meines Onkels aus Jarlitz?? Was macht der hier? Da bekam ich schon
ein komisches Gefühl und als ich dazu lautes Weinen hörte, bekam
ich Panik. Kurz darauf ging die Tür auf, meine Mutter kam herein,
setzte sich auf mein Bett, nahm mich in den Arm und schluchzte: “Vati
ist tot!“
Was dann alles kam, weiß ich nicht mehr, ich weinte ohne Ende, wollte
jedenfalls nicht mit zur Beerdigung und konnte in der Zeit bei Tante Hertha
bleiben.
Ich brauchte einige Tage nicht zur Schule und als ich dann wieder dort
war, sprach mir unser Klassenlehrer das Beileid aus. Ich stand dabei und
habe versucht, nicht zu weinen, was mir, glaub ich, auch gelungen ist.
Das Leben veränderte sich von heute auf morgen, meine Mutter litt
sehr, sie nahm eine Arbeit an und zu unserem Lebensunterhalt steuerten
meine Schwestern und meine liebe Oma bei.
Später hatte ich mir mal überlegt, wie es zu diesem Unfall gekommen
sein konnte. Mein Vater war Handelsvertreter, er besuchte im Auftrag der
Firma Stolte die Bauern in der Umgebung, um Saatgut und Kohlen zu verkaufen.
Mein Vater war sehr beliebt und wenn es dann zum Vertragsabschluss kam,
dann hieß es wohl oft: „Nun, Heini, lass uns einen trinken.“
Der obligatorische Schnaps! Und da fuhr er mit seinem Motorrad über
die Kreuzung der B 4 und stieß mit einem Auto zusammen. Schädelbasisbruch,
sofort tot. Ganz zufällig bin ich Jahrzehnte später an einem
1. Juli abends genau über diese Stelle auf der B 4 gefahren, ein
unheimliches Gefühl überkam mich. Jetzt kann dort so ein Unfall
gar nicht mehr passieren, weil die B 4 die Straße von den Dörfern
überbrückt.
An
meinen Vater habe ich nur wenige Erinnerungen, schließlich war ich
9, als er starb. Meine Mutter war immer etwas streng zu mir, mein Vater
sagte dann: “Ach, lass ihn doch!“
Er wollte unbedingt, dass ich das Gymnasium besuchte, denn er hatte seinerzeit
sehr schlechte Erfahrungen machen müssen. Man legte ihm in der Schule
Steine in den Weg. Er war zwar auf dem Schiller - Gymnasium in Uelzen,
hatte aber kein Geld für die Bücher; von zu Hause bekam er nichts.
Er musste dann von der Schule abgehen und hörte (sinngemäß):
„Was will ein Bauernjunge auf der höhere Schule?“
Als ich in der Schule irgendwelche Inschriften von Denkmälern abschreiben
sollte, es aber vergaß, fuhr er in aller Herrgottsfrühe mit
dem Motorad los und schrieb alle möglichen Sprüche auf. Ich
brauchte das dann gar nicht, das war mir dann etwas unangenehm; aber es
beeindruckte mich sehr.
Vom
2. Weltkrieg wurde eigentlich nie gesprochen, aber er erzählte einmal,
als er als Wehrmachtssoldat in Paris in einem Uhrengeschäft war,
dass der Inhaber sich wunderte, dass er die Uhr bezahlte. Um Fragen zu
stellen, war ich viel zu jung. - Manchmal gab es aber so Zusammenkünfte,
z B Geburtstagsfeiern, ich erinnere mich an eine bei den Verwandten meiner
Mutter. Da hörte ich dann am Rande von den Männern, rauchend,
Bier und Schnaps trinkend, so einiges über den Krieg. Verstanden
habe ich praktisch nichts, aber manche waren stolz; eine gedrückte
Stimmung war das wohl nicht.
Gut
gefallen hat meinem Vater der Schlager „Der lachende Vagabund“
von Fred Bertelmann, das weiß ich noch.
Wir
hatten einen gepachteten Garten auf dem Lohnberg. Wir waren dort einmal
zu dritt, meine Eltern arbeiteten und ich lag im Gras und kuckte in die
Luft, hörte eine Lerche singen. Aber der Himmel verdunkelte sich
rasch und starker Regen setzte ein. Meine Eltern fragten mich, ob ich
mit dem Motorrad mit nach Hause wollte oder ob meine Mutter mitfahren
sollte. Ich wollte weg aus dem Regen, heute ist mir das natürlich
sehr peinlich.
Meine
Mutter litt unter dem Tod meines Vaters so sehr, dass sie schließlich
Krebs bekam; aus psychosomatischen Gründen hat man wohl gesagt. Jedenfalls
wir alle bekamen ihre Krankheit mit, sie wurde bettlägerig. Ich bastelte
ihr mit meinem Trix-Baukasten eine Klingel an ihr Bett, damit sie uns
rufen konnte, wenn sie was brauchte.
meine Mutter im Krankenhaus Ebstorf
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Ihre
Schmerzen wurden immer stärker und so kam sie dann ins Krankenhaus
nach Ebstorf. Auf dem Foto wird sie gerade von meiner Schwester Christa
und meiner lieben Oma besucht. Sie starb dann Anfang Dezember und auf
der Totenfeier in unserem Haus erhielt ich von vielen kleine Geschenke.
Bei der aufkommenden Diskussion wurde mir plötzlich klar, dass ich
nun Vollwaise war. Sie unterhielten sich nämlich darüber, was
mit mir geschehen sollte. Ich war gerade 14 und es gab wohl die Meinung,
dass ich in ein Waisenhaus kommen sollte. Da wurde Wilhelm, der Freund
meiner Schwester Christa mit ernsthaften Absichten, wütend und sorgte
letztlich dafür, dass ich in ihrem neu entstehenden Haushalt wohnen
sollte. Deshalb haben die beiden mit Billigung der Verwandtschaft innerhalb
des Trauerjahres geheiratet. Es war nicht leicht, einen Jungen in der
Pubertät in der Wohnung zu haben. Als ich dann die „langen“
Haare der Beatles gut fand und meine wachsen ließ, wurde das Verhältnis
zu meinem Schwager sehr schlecht. Nach der Mittleren Reife ging ich dann
zur Chemieschule Hannover und kam dann mal getrampt nach Hause. Mein Schwager
war über meine Haare entsetzt und verlangte von mir, diese abzuschneiden,
sonst könne ich dort nicht übernachten. Darauf ließ ich
mich nicht ein, sagte Tschüß und ging zu meinem Freund Michael,
wo ich übernachten durfte. Michaels Mutter, aber vor allem auch die
Mutter meines Schwagers Wilhelm, fanden das nicht gut, diese Intoleranz;
das Leben ist so kurz, sagte die gütige Mutter von Wilhelm, aber
ihr Sohn hatte doch immer Schwierigkeiten damit, obwohl unser Umgang später
besser wurde.
Es liegen ungefähr vier Jahre zwischen dem Tod meines Vaters und
dem meiner Mutter und so entwickelte sich zunächst unmerklich diese
Vorstellung von der 4, die meine Schicksalszahl sei.
Ein Art Wahnvorstellung wurde daraus, immer suchte und fand ich eine vier,
wenn irgendwas Negatives geschah, und diese Vorstellung bestimmte mein
Denken viele Jahre. Erst als ich in der Lage war, mal distanziert darüber
nachzudenken, widmete ich die Zahl in eine Ereigniszahl um. Was das nun
auch immer sollte, aber die psychische Belastung durch diese Zahl war
weg.
Als ich 21 wurde, sollte ich den Zugriff auf ein kleines Sparkonto bekommen
und musste damit zum Amtsgericht. Ich hatte mittlerweile das Abitur und
studierte in Hannover. Nach einer kleinen Unterhaltung mit dem Beamten
sagte der zum Abschluss:“Das freut mich, dass Sie das geschafft
haben; ich habe mit vielen Fällen zu tun, wo es gar nicht gut gelaufen
ist.“
Noch etwas Schreckliches fällt in diese Zeit. Ich habe schon früh
und viel gelesen, alle möglichen Bücher geradezu verschlungen.
Deshalb war ich auch häufig in der Stadtbibliothek. Ich schaute mich
immer gerne um und bekam zufällig ein Buch in die Hand, an dessen
Titel ich mich nicht erinnern kann. Ich schlug es auf und war fassungslos:
es war ein Bericht mit Fotos von den KZs des III. Reiches. Im Grunde hatte
ich gar nichts davon gewusst, zwar war der 2. Weltkrieg ein Begriff, aber
es gab keine Auswirkungen davon für mich. Nun betrachtete ich das
Buch, auf einem Foto trieb ein Soldat einige unbekleidete Frauen mit dem
Gewehr vor sich her. Furchtbar!!!
Zu Hause hat man nicht davon erzählt, in der Schule auch nicht. In
Geschichte hatten wir den Gang nach Canossa 1077 gefühlt ein Jahr
lang besprochen und am Ende der 10. Klasse hatten wir noch nicht mal Napoleon.
Ich musste so viel aushalten, aber ich hatte meine liebe Oma! Ich weiß
nicht, was ohne sie aus mir geworden wäre.
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