Zum Problem der historischen Schreibweise im 18. Jahrhundert


 
  

 

Neben den dramatischen Werken sind die historischen Schriften wenig bekannt. Sie sind bis heute lesenswert,
obwohl man sich in die Sprache ein wenig einlesen muss - diese Sprache ist jedoch viel einfacher als die der dramatischen Werke.

 

 

Kurzinhalt

Mit Geschichtsschreibung - von der Rhetorik nicht zu trennen - hatte Schiller schon in seiner Ausbildung zu tun und viele seiner Dramen geben davon Zeugnis. Als er durch Beziehungen (zu Goethe) eine Geschichtsprofessur bekam, war er viel mehr in seinem Element als man vermuten möchte.


In der Arbeit gehe ich auf die Beziehung zwischen historischen Fakten und der Rhetorik ein. Wichtig war für Schillers Zeit die Persönlichkeitsdarstellung, wichtig ist mir dabei auch der Aspekt der Parteinahme (Parteilichkeit), den Schiller glänzend gelöst hat. Das Zitat von Adam Müller am Schluss der Arbeit gilt eindeutig für Schiller und sollte bis in alle Zukunft von jedem politischen Redner (und letztlich von jedem Menschen) beherzigt werden:

Die Beredsamkeit will ergreifen, aber durch Reiz, durch Motive, die in der Brust dessen liegen, auf den sie es abgesehn: sie will ihre Beute nicht tot haben wie der gemeine Eroberer, aber im vollen Sinne des Wortes lebendig. Sie will eine freie Seele bezaubern und beherrschen, sie will ihren Gegner nur zwingen und reizen, niederzuknien vor der Wahrheit, die größer ist als sie beide. Sobald also der Redner spricht, ohne seinen Gegner, vielmehr sobald in der Rede des
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Redners nicht alle Argumente des Gegners enthalten sind, sobald ist er seines Gegenstands Meister noch nicht und seines Sieges nicht gewiß. Jede wahre Rede ist also ein Gespräch: in dem Munde des einen Redners sprechen notwendig zwei, er und sein Gegner.[28]

 

Das hört sich gut an, Adam Müller ist im 19. Jahrhundert allerdings Spion des Deutschen Bundes gewesen, wodurch der Inhalt seiner Worte aber nicht leiden sollte. Denn ich weiß nicht, wie man sich fühlt, wenn man in einer solchen Bedrängnis leben muss, wie es Adam Müller musste. (Der werfe den ersten Stein ... )

 

Aus der Einleitung

Hier noch einige Anmerkungen zum Aufbau der Arbeit. Nach einem biografischen Überblick folgt ein kurzer Überblick über die Entwicklung der historischen Schreibweise. Es schließt sich die Darstellung der geschichtsphilosophischen Konzeption Schillers an, dieser Teil ist zum Verständnis der historischen Schreibweise Schillers unerläßlich. Dabei wird auch den Wandlungen seiner Auffassung Rechnung getragen; von Schlözer über Charles de Secondat Montesquieu (1689-1755) und Francois-Marie Voltaire (1694-1778) zu Immanuel Kant (1724-1804), von der Vorstellung eines kausalen Zusammenhangs in der Geschichte bis hin zu einer an Kant allerdings nur angelehnten Teleologie.

In der zur systematischen Darstellung notwendigen Trennung von Philosophie und Stil nimmt die Persönlichkeitsdarstellung infolge ihrer immanenten Problematik eine Zwischenstellung ein, da sich hier die Persönlichkeitsdarstellung mit der Ideologie einer personalistischen Geschichtsauffassung überschneiden. Aus diesem Grund erschien eine getrennte Behandlung als sinnvoll.

 

Wie ich heute über meine Arbeit denke (1998 / 2022)

Ich verehre Schiller auch heute, weil er trotz seines feudalen Umfeldes nach seinen Möglichkeiten so ehrlich war, auch wenn man sein Ungestüm und seine schwäbische Aussprache nicht so gerne mochte.

Allerdings meine ich nicht, dass man seine Dramen heute aufführen muss, vielleicht noch die Räuber. Aber Wallenstein (O Gott o Gott - Ich habe alles von Schiller gelesen!!) ist mir doch viel zu anstrengend. Kabale und Liebe - das ist Schiller auf Abwegen, da er ein Stück für die Kasse schreiben sollte. Man kann diese Zeitstücke auch kaum ändern, das geht anderen Autoren dieser Zeit ähnlich - denn man musste über seine Zeit schreiben, um sie zu verbessern und konnte nicht wie Shakespeare in die Tiefen menschlichen Handelns hinabsteigen.

Ich empfehle heute die Geschichte vom Abfall der Niederlande von Spanien zu lesen. Nach Eingewöhnung sehr spannend. Als ich kürzlich in den Niederlanden an den Festungswerken stand, die gegen die spanischen Truppen errichtet worden waren, da dachte ich an dieses Buch und konnte mir die Bedeutung dieser Befestigungen lebhaft vorstellen.

 


Die ganze Arbeit Schillers Geschichtsschreibung als pdf-Datei

 

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Hinweise zur Internet-Version
Stand: August 2006 / 2022

Der vorliegende Text entspricht dem Original, lediglich die Fußnoten sind anders angeordnet;
sie befinden sich am Ende der jeweiligen Abschitte.

Für den Hinweis auf Scannerfehler bin ich dankbar. 

Zitieren mit Angabe der Quelle erlaubt; ich bitte um ein Belegexemplar.

E-Mail-Adresse: j@b-e-h-n.de

Homepage: https://www.jotbezev.de

Geplant:
1. Weitere Links zur besseren Handhabung.
2. Tabelle mit hist. Zahlen als Anhang,
nicht Bestandteil der Arbeit gewesen, aber angefertigt.
Allerdings gibt es heute so viele gute Tabellen, dass
ich wohl einen Link auf eine solche machen werde.

 

© Jürgen Behn 1998 / 2022

Eingereicht als Examensarbeit für das Höhere Lehramt im Fachbereich Germanistik an
der 
Technischen Universität Hannover 1975 von Jürgen Behn bei Prof. Gert Ueding

V4.4



INHALTSVERZEICHNIS

Allgemeine Hinweise

1

Einleitung

04

2

Biografie Schillers
Anmerkungen zum Lebenslauf der Jahre seiner historischen Tätigkeit

08

3

Schillers Geschichtsschreibung

15

3.1

Zur Geschichte der historischen Schreibweise und die Situation im 18. Jahrhundert 

15

3.2

Schillers Geschichtsphilosophie

18

3.2.1

Frühe Arbeiten 

18

3.2.2

Plutarch - Schlözer 

20

3.2.3

Machiavelli

22

3.2.4

Voltaire - Montesquieu 

24

3.2.5

Abfall der Niederlande 

25

3.2.6

Die Jahre 1789-92 

27

3.2.7

Kant 

33

3.3

Rhetorische Aspekte der Schreibweise 

37

3.3.1

Einige rhetorische Figuren 

46

3.4

Persönlichkeitsdarstellung 

52

3.4.1

Problematik 

52

3.4.2

Darstellung 

58

4

Reaktionen aus dem 18. und 19. Jahrhundert

66

4.1

Quellen und Quellenkritik 

68

4.2

Analogieschluß

70

4.3

Verwendung erfundener Reden 

71

4.4

Parteilichkeit 

71

Literaturverzeichnis

75


 

Allgemeine Hinweise
Die vollständige Literaturangabe befindet sich jeweils im Literaturverzeichnis.
Zwei Werke (G._Mann: Deutsche Geschichte und A. W. Anikin: Ökonomen) erscheinen dagegen nur in der Fußnote,
da sie keinen weiteren Bezug zum Thema besitzen.
Besonders abgekürzt wurden folgende Werke:
SW = Schillers Werke, hrsg. v. Fricke und Göpfert
NA = Schillers Werke in der Nationalausgabe
BW = Briefwechsel zwischen Schiller und Humboldt
Jonas = Schillers Briefe, hrsg. v. Fritz Jonas.
Römische Zahlen hinter den Abkürzungen entsprechen den Bandnummern.

Zusätze, Auslassungen und Bemerkungen in der eckigen Klammer stammen ausschließlich von mir, auf den Hinweis d. Verf." usw. wurde deshalb verzichtet.

 

Im folgenden noch einige Wörter, die sich in ihrem heutigen Gebrauch von dem des 18._Jahrhunderts unterscheiden.
Zuerst jeweils die von Schiller benutzten Wörter:

18. Jh.

20. Jh. 

Ende

Ziel

da

als

endlich

schließlich

für

vor

(fürchten) darf

(fürchten) braucht

gemein

einfach

merkwürdig

denkwürdig

Verstand

Sinn

vor

für


 
 
 
 


 
 
 
 

Die Geschichte aber, die Zeugin der Zeiten,
das Licht der Wahrheit, das Leben der Erinnerung,
die Lehrmeisterin des Lebens, die Verkünderin alter Zeiten,
durch welche andere Stimme als durch die des Redners
wird sie der Unsterblichkeit geweiht?

--------------------------------------------- Cicero, de or., lib. 2, 36

 

Einleitung
 

Das Bewußtsein, aus der Geschichte lernen zu können, begann sich in der Aufklärungsbewegung des 18. Jahrhunderts erst wieder neu zu entwickeln. August Ludwig Schlözer (1735-1809) und Johann Christoph Gatterer (1727 - 1799), zwei Göttinger Geschichtsprofessoren, zählen zu den ersten, die Geschichte und Gegenwart im Zusammenhang sehen und darstellen wollten. Friedrich Schiller (1759-1805) knüpfte daran an, bemühte sich darüber hinaus um das vernachlässigte Vermittlungsproblem.

Von den Zeitgenossen im wesentlichen gelobt, wurden seine historischen Arbeiten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast einhellig abgelehnt. Untersucht man die Beweisführung seiner Kritiker, so stellt sich heraus, daß die Ablehnung sehr unterschiedlich motiviert wurde: Einmal verwende Schiller zuviel Pathos, dann nicht authentische Reden und ein drittes Mal wurden ihm reine Erfindungen (Ranke) unterstellt. Es scheint sich dabei um einen globalen Angriff gehandelt zu haben, zumal die Vorwürfe oft völlig haltlos, die Nachweise kaum fundiert sind.

Im Zentrum dieses Angriffs stand die Verknüpfung der Geschichtsschreibung Schillers mit einer Disziplin, die im 19. Jahrhundert keinerlei Ansehen mehr genoß - die Rhetorik. Dahinter verbirgt sich neben Vermittlungsfragen das Problem der Parteilichkeit, oder, um Mißverständnisse zu vermeiden, das der Anteilnahme; in den prosaischen Worten Golo Manns: Hinter den Schleiern seines scheuen Philosophengeistes verbargen sich Glaube, Liebe und Hoffnung. [1] Diese Anteilnahme, die ein sehr wichtiges Moment in der Schillerschen Schreibweise darstellt, wurde im Zeitalter des Historismus meist abgelehnt, und auch heute wird die sogenannte "objektive" Methode als das non plus ultra angesehen. Anteilnehmende Geschichtsschreibung sollte deshalb erstes Anliegen der Geschichtsschreiber sein, weil sie dem Leser hilft, historische Vorgänge mit den jeweiligen Zielsetzungen zu vergleichen - ob sie im Sinne einer humanen Entwicklung menschlichen Zusammenlebens gewirkt oder eine Verbesserung der Verhältnisse nur vorgegeben haben. Ein solches kritisches Geschichtsdenken schlägt sich nicht zuletzt in einem ausgewogenen politischen Bewußtsein nieder; Geschichte bekommt dadurch erst ihren Sinn.

Heute dagegen ist man ängstlich bemüht, jegliche Wertung zu unterlassen. Eine wesentliche Ursache dieser Haltung wird im Faschismus zu suchen sein, der in seinem zweifelhaften Geschichtsbild in Verquickung mit einer Rhetorik, die keinen Widerspruch duldet, einen tiefen Schock hinterlassen hat.

[In der Folge] entstand ein Stil der Untertreibung (understatement), der Abstraktion, der Eigentlichkeit. Man hoffte, auf diese Weise das Rhetorische ein für alle Mal loszuwerden. Heute wissen wir, daß es ein Pathos der Untertreibung gibt, daß auch das Eigentliche rasch zum Jargon werden kann.[2]

Es wäre gut, wenn es gelänge, die Art und Weise der Schillerschen Geschichtsschreibung neu zu beleben, um - denn das intendiert diese Schreibweise - zu einem bewußten geistigen und emotionalen Einsatz zu gelangen, für das, was Schiller abstrakt "Freiheit" genannt hat. Schiller hat eine Schreibweise hinterlassen, die mehr ist als "bloße Form"; die, wenn man von ihm selbst eingesehenen stellenweise überhöhten Pathos [3] absieht, in ihrer Darstellung zu Gerechtigkeit gegenüber allen beteiligten Parteien ermahnt und, fast möchte man sagen: zu allem Überfluß, auch noch Spaß macht.

Wenn es Nothdurft ist, die Geschichte zu lernen, so hat derjenige nicht für den Undank gearbeitet, der sie aus einer trockenen Wissenschaft in eine reitzende verwandelt, und da Genüsse hinstreut, wo man sich hätte gefallen lassen müssen, nur Mühe zu finden.[4]

Hier noch einige Anmerkungen zum Aufbau der Arbeit. Nach einem biografischen Überblick folgt ein kurzer Überblick über die Entwicklung der historischen Schreibweise. Es schließt sich die Darstellung der geschichtsphilosophischen Konzeption Schillers an, dieser Teil ist zum Verständnis der historischen Schreibweise Schillers unerläßlich. Dabei wird auch den Wandlungen seiner Auffassung Rechnung getragen; von Schlözer über Charles de Secondat Montesquieu (1689-1755) und Francois-Marie Voltaire (1694-1778) zu Immanuel Kant (1724-1804), von der Vorstellung eines kausalen Zusammenhangs in der Geschichte bis hin zu einer an Kant allerdings nur angelehnten Teleologie.

In der zur systematischen Darstellung notwendigen Trennung von Philosophie und Stil nimmt die Persönlichkeitsdarstellung infolge ihrer immanenten Problematik eine Zwischenstellung ein, da sich hier die Persönlichkeitsdarstellung mit der Ideologie einer personalistischen Geschichtsauffassung überschneiden. Aus diesem Grund erschien eine getrennte Behandlung als sinnvoll.
 


1 Golo Mann: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt 1971. Fueter spricht von 'mitfühlen' (S. 401).

2 Schlüter, S. 9.

3 "Rhetorische Manier" nannte Schiller es selbst. Das bezieht sich nach meiner Meinung nicht auf die Verwendung rhetorischer Elemente überhaupt, sondern besonders auf das, was der Mannheimer Regisseur Meyer zu Schillers Freund und Fluchtgefährten Streicher nach einer durchgefallenen Dichterlesung gesagt hat: "Sie haben recht! "Fiesko" ist ein Meisterstück und weit besser gearbeitet als die "Räuber". Aber wissen Sie auch, was schuld daran ist, daß ich und alle Zuhörer es für das elendste Machwerk hielten? Schillers schwäbische Aussprache und die verwünschte Art, wie er alles deklamiert! Er sagt alles in dem nämlichen hochtrabenden Ton her, ob es heißt 'Er macht die Tür zu' oder ob es eine Hauptstelle seines Helden ist." Zit. n. Burschell, S. 41.

4 Schiller an Körner, 26.9.1799; Jonas VI, S. 88.

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